Wie sich die Standardkarosserie „Cabriolet“ zum gefragten Klassiker entwickelte

Schon seit der Erfindung des Automobils gegen Ende des 19. Jahrhunderts fuhr man in der Regel offen. Etwa bis zum Zweiten Weltkrieg dominierte diese Karosserieform das Straßenbild, auch wenn mehr und mehr geschlossene Wagen im Angebot waren. In der Wirtschaftswunderzeit entwickelte sich das Cabriolet zum prestigeträchtigen Luxusobjekt. Doch dann wandelte sich das Bild der unbeschwerten Cabrio-Fahrt sonnenbebrillter, braungebrannter Schönheiten über sonnige Landstraßen.

Vorkriegswagen, die oft bei Oldtimerrallyes zu sehen sind, tragen Bezeichnungen wie Open Tourer, Drophead Coupé oder Roadster. Doch das sind nur einige der gängigen Formen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Vielfalt der offen Karosserievarianten war groß. Den Begriff Kabriolett oder Cabriolet hatte man bereits vor der Erfindung des Automobils für Pferdekutschen verwendet, er  bezeichnete einen offenen Ausflugswagen. Fortan arbeiteten die meisten Automobilkonstrukteure ebenfalls an offenen Fahrzeugen, denn mit einem geschlossen Aufbau wären erhebliche Mehrkosten verbunden gewesen. Nur wenige Karosseriebauer wie Kathe in Halle, Adler in Frankfurt oder Karmann in Osnabrück fertigten vor dem Zweiten Weltkrieg teure Einzelexemplare und Kleinserien mit Dachkonstruktion. So blieb der offene Wagen die alltägliche Erscheinungsform eines Automobils. Ob zweitürig mit einfachem Verdeck oder viertürig mit gefüttertem Allwetter-Verdeck – für alle Ansprüche gab es das passende Cabrio. 

Cabriolets für Liebhaber

Der Straßenverkehr in den 1920er Jahren wuchs. Immer mehr Fahrer wollten ihre Autos auch bei schlechtem Wetter nutzen und fanden Gefallen an geschlossenen Karosserievarianten, der Limousine oder dem Coupé. Parallel kamen offene Sportwagen und Roadster in Mode, die als prestigeträchtige Alternative gefahren wurden. 

In der Wirtschaftswunderzeit wandelte sich, zusammen mit der Bauweise, das Ansehen von Cabriolets. Die modernen selbsttragenden Karosserien setzten sich bei den meisten Herstellern durch. Diese Bauart zum Cabrio umzurüsten, war aufwändig und nicht einfach durch Weglassen des Dachaufbaus möglich, da dieser samt seiner verstrebenden Holme ein tragendes Teil war. Die Bodengruppe musste verstärkt werden, um die Belastungen aufzufangen. 

Das Cabrio avancierte zum Traumwagen, den sich nicht jeder leisten konnte. Das Spektrum reichte vom 32.500 DM teuren Mercedes 300 SL bis hin zum Käfer, der 1955 als Cabriolet 5.990 DM kostete. Der Otto-Normalverbraucher, der dank seiner Ersparnisse immerhin vom Motorrad auf einen Kleinwagen umsatteln konnte, erledigte seine Einkäufe im Henkelroller, im Goggomobil oder gar im A-Kadett. Währenddessen fertigten Kleinserienhersteller wie Rometsch, Deutsch oder Hebmüller Luxuscabriolets für gut Betuchte. 

Beliebt waren zunächst Vollcabriolets. Bei ihnen war das Stoffdach gefüttert und konnte vollständig zurückgeklappt werden. Bei heruntergekurbelten Seitenscheiben saßen die Insassen im Freien und genossen bei wehendem Haar frische Luft und Sonnenschein. Eine weitere Variante, die Cabrio-Feeling fast zum Limousinen-Preis vermittelte, war die Cabriolimousine, bei der die Seitenscheiben inklusive Rahmen fest verbaut waren und das Dach nach hinten aufzurollen ging. Der Fiat Topolino war ein viel gesehenes Beispiel dafür, bekannter dürfte allerdings der Citroën 2 CV sein, die Ente.

Umdenken zugunsten der Sicherheit

Bereits in den 1960er und 1970er Jahren senkten die Automobilhersteller in den USA die Produktionszahlen von Convertibles, wie Cabriolets dort heißen. Das Sicherheitsdenken hielt Einzug, da Unfälle im Vollcabrio wohl eher ungut endeten. Die großen Marken setzten bei der Automobilkonstruktion zunehmend auf Sicherheit – wie es Mercedes-Benz hierzulande auch schon tat. Ein festes Dach über dem Kopf bot nicht nur Schutz bei schlechtem Wetter, sondern eine Verwindungssteifigkeit, die Leben rettete. 

Doch wo blieben da die Emotionen, das Gefühl von Freiheit, das der Wind in den Haaren und die Sonne im Gesicht einem Cabriofahrer vermittelte? Das wollte man sich nicht so einfach nehmen lassen, Sicherheit hin oder her. Die Angebotsreduzierung von Convertibles in den USA führte also zum Heranwachsen neuer Exportschlager aus Deutschland wie den Cabrioversionen des VW Käfer, des Porsche 356 und 911, des Karmann Ghia oder des Mercedes-Benz W113 und später des R107.

Design oder Sicherheit?

Die Automobilhersteller nutzten in der Regel die Coupéversion eines Modells als Grundlage für ihre Cabriovariante. Einige schnitten nicht gleich das komplette Dach ab oder auf, sondern dachten über eine Mischform nach. Als neue Form eines Coupés mit herausnehmbarem Mitteldach präsentierte Porsche 1965 den Targa, vier Jahre später gefolgt vom VW Porsche 914. Porsche bezeichnete den Wagen als Sicherheitscabriolet, denn der Bügel über dem Cockpit als Verbindung der beiden B-Säulen sollte den Fahrer bei Überschlag schützen. Allerdings trug die Konstruktion ebenso zu einem verbesserten Design bei. Ob nun die Optik oder die Sicherheit den Ausschlag für den Trend gegeben hatten, sei dahingestellt. Weitere Hersteller zogen jedenfalls nach und ließen Kleinserien mit umgebauten Limousinen produzieren, wie beispielsweise BMW mit dem Top-Cabriolet von Baur. Die Nachfrage nach Vollcabriolets hingegen sank und erreichte in den siebziger Jahren einen Tiefpunkt. Das Sicherheitsbewusstsein konkurrierte fortan mit der Sehnsucht nach freiem Fahren mit uneingeschränktem Frischluft-Feeling.

Der schmale Schatten des Überrollbügels

Die Angst vor Überschlagunfällen war weit verbreitet und die Sicherheit galt beim Pkw-Verkauf als wichtiges Verkaufsargument, doch überzeugte Cabrio-Liebhaber gab es nach wie vor. Mit dem Golf Cabriolet als Nachfolger des Käfers gelangte 1979 der Überrollbügel zu einzigartigem Ruhm. Der Henkel brachte dem Golf 1 Cabriolet, das bis 1993 ganze 389.000 Mal gebaut wurde, den Spitznamen „Erdbeerkörbchen“ ein. Die Metallrohrkonstruktion sollte bei einem Überschlag ein komplettes Eindrücken des Faltdaches verhindern und konnte somit Leben retten. 

In den 1980er Jahren folgten Henkel-Cabrios der Modelle Opel Kadett, Fiat Ritmo, Ford Escort oder Talbot Samba, allerdings ohne fruchtige Namen zu ernten. Man hielt halt mit, der Überrollbügel warf ja schließlich nur einen schmalen Schatten auf das ansonsten sonnige Cabrio-Vergnügen. 

Voll offen und trotzdem sicher

Einige Hersteller ließen sich nicht von der Produktion eines Vollcabriolets abbringen und profitierten sogar vom raren Angebot. Dazu gehörten beispielsweise der Alfa Romeo Spider Aerodinamica (1983 bis 1989) und der von 1971 bis 1989 gebaute Mercedes-Benz R107, der seinen größten Absatz in den USA fand. Seine A-Säulen erhielten für mögliche Überschläge eine besondere Verstärkung, zudem erhielt er ab 1982 einen Airbag. Beide Modelle sind heute beliebte Klassiker.

Auch der Nachfolger des R107, der R129, ist heute bereits ein gefragter Oldtimer. Er kam 1989 mit einer verbesserten Sicherheitsausstattung auf den Markt. Im Ruhezustand unauffällig liegt vor dem Verdeckkasten ein automatisch auslösender Überrollbügel aus hochfestem Stahlrohr. Wenn die Fahrzeugsensoren vor einem drohenden Überschlag die Gefahr registrieren, klappt in 0,3 Sekunden der Bügel auf und rastet ein. Auch die Integralsitze mit Sicherheitsgurten und Gurtstraffern gehörten zum Sicherheitskonzept. 

Zukünftige Cabrio-Klassiker mit Sicherheitssystem

Der Mercedes-Benz R129 war ein Vorreiter für Cabriolets mit elektronischen Sicherheitssystemen und unsichtbaren Überrollbügeln. Optisch war der Henkel also in den 1990er Jahren kein Thema mehr. Im März 1991 stellte die Audi AG die Serienversion ihres ersten bügelfreien Cabriolets auf dem Genfer Automobilsalon vor. Auch Mercedes brachte in diesem Jahr auf Basis des Coupés der Reihe W124 ein viersitziges Cabrio auf den Markt. Mit ca. 1.000 überarbeiteten oder neu konstruierten Teilen und Blechen gewährleistete Mercedes eine optimale Verwindungssteifigkeit. Seit dieser Zeit verbesserten alle Hersteller sukzessive ihre Sicherheitskonzepte in Cabriolets, egal ob mit oder ohne Henkel. 

Der Charme des offenen Fahrens hat Grenzen

Heute haben viele Cabriolets aktive Überrollbügel, die in Sekundenbruchteilen hervorschnellen können, für andere sind Nachrüstsätze der Rohrkonstruktionen zu haben. Neuere Modelle bieten schon allein durch ihre Airbags oder verstärkte Karosseriebauteile einen wesentlich höheren Insassenschutz als ein Fiat 124 Spider oder ein Käfer Cabriolet. Schräg gestellte Frontscheiben und tiefe Sitze vermitteln bei modernen Cabriolets zwar ein Gefühl von Geborgenheit, aber Liebhaber eines Alfa Romeo Duetto oder einer DS Cabrio werden wohl kaum umsteigen wollen. Selbst dann nicht, wenn die unbeschwerte Cabrio-Fahrt sonnenbebrillter, braungebrannter Schönheiten über sonnige Landstraßen heutzutage auch mit eingebauter Sicherheit zu genießen ist. Denn letztendlich ist und bleibt Cabrio-Fahren eine emotionale Angelegenheit, und die Unterschiede zwischen Oldtimer-Cabrios und neueren Modellen sind spürbar. Ganz zu schweigen von der Ästhetik, die bei manch modernem Modell mit Klappverdeck zu wünschen übrig lässt.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum sich die Zulassungszahlen moderner Cabriolets sich für längere Zeit im Tiefflug befanden. 2007 wurden noch 138.071 offene Exemplare in Deutschland neu zugelassen, 57 verschiedene Modelle boten die Hersteller an. Zwanzig davon verschwanden in den folgenden zehn Jahren vom Markt, die Statistik erfasste nur noch 83.598 neue Zulassungen im Jahr 2017. Der Marktanteil der Cabriolets sank auf 2,2 Prozent. Heute liegt er allerdings bei 4,6 %, ein Zeichen dafür, dass die Beliebtheit des freien Fahrgefühls wieder zuzunehmen scheint.

Text: Renate Freiling Fotos: Renate Freiling, Heinrich Niemeier