Der rennstreckentaugliche Ford Mustang Mach-E GT begeistert nicht nur die Presse, sondern auch den Chief Program Engineer von Ford Europa, Matthias Tonn. Der 52-Jährige ist passionierter Autofahrer und insbesondere für die fahrdynamische Anpassung von US-Baureihen auf dem europäischen Markt verantwortlich. Mit Cabriolife sprach er über Details seiner Arbeit
Man könnte meinen, das Pferd hätte Benzin im Blut. Doch es ist Strom, der den spritzigen „Mustang Mach-E GT“, das neue Top-Modell der batterie-elektrischen Ford Mustang-Baureihe. Es gibt ihn in den knalligen und damit zum Charakter passenden Farben Cyber Orange oder Atoll-Blau Metallic, lediglich eine Ausstattungsvariante wird angeboten. In den USA ist die Auswahl größer, nicht nur farblich.
„In Nordamerika haben wir die GT-Version zweifach, als GT und als GT Performance Edition, auf dem Markt. Nur die GT Perfomance Edition hat das MagneRide-Fahrwerk“, sagt Matthias Tonn, Programmingenieur für US-Baureihen von Ford, die das Unternehmen in Europa verkauft. „Hier haben wir uns dafür entschieden, ausschließlich die Variante ‚Performance Edition‘ anzubieten, da der europäische Kunde in der Regel alles, das Beste haben will. Wir nennen es aber schlicht ‚GT‘.“ Mit einer großen Batterie, Allrad-Antrieb, 487 PS und 860 Newtonmeter verfügt er über das stärkste Drehmoment der Baureihe.
Tonn, der seit 23 Jahren bei Ford arbeitet, zeichnet seit fünf Jahren dafür verantwortlich, dass Ford-Modelle wie der Mustang, der Explorer und der neue Mustang Mach-E an europäische Verhältnisse und Kunden angepasst werden. „Es gibt Unterschiede in der Gesetzgebung. Die Zulassungsbehörde hat bestimmte Anforderungen, zum Beispiel an das Crash-Verhalten und die äußeren Merkmale.“ Das Logo am Kühlergrill beispielsweise muss in der EU symmetrisch sein. Ein leuchtender Mustang, wie er in den USA die Wagenfront ziert, geht hier gar nicht. Außerdem sind die geographischen Gegebenheiten und Straßenverhältnisse anders. „In den USA hat man viel Platz, es geht meist geradeaus. In Europa hat man viele kleinere, geschwungene Straßen, bergauf, bergab. Auf der deutschen Autobahn darf man zudem über 110 Stundenkilometer fahren – im Gegensatz zu Nordamerika. Oder in England: Dort haben wir sehr schmale, oftmals holprige Straßen, wo der Mustang mit seiner Leistung ebenfalls ein gutes Bild abgeben muss.“ Diese Umstände erfordern eine spezielle Fahrwerks- und Antriebsabstimmung. Der Mustang Mach-E bietet bereits drei Fahrmodi, die der Fahrer über das zentrale Display auswählt: „Zahm“, „Aktiv“ und „Temperamentvoll“. Im Mach-E GT kommt mit „Temperamentvoll Plus“ ein zusätzlicher, vierter Modus hinzu, der allerdings nur für den Rennstreckeneinsatz geeignet ist.
„Beim Mustang Mach-E GT haben wir alle Möglichkeiten genutzt, um das Fahrerlebnis je nach Wunsch maßzuschneidern. So kann der Fahrer die Fahrzeug-Charakteristik wählen, die er sich wünscht – je nachdem, wie er sich gerade fühlt und welche Fahrmöglichkeiten er hat.“ Der Mach-E GT-Antriebsstrang ist so kalibriert, dass je nach Fahrmodus ein stetig größerer Anteil des Drehmoments auf die Hinterräder übertragen wird, so dass sich das Fahrverhalten und die Fahrdynamik schrittweise von einem frontgetriebenen SUV zu einem dynamischen, heckgetriebenen Sportcoupé verändern kann.
„Die Baugruppen sind beim GT in den USA und in Europa gleich. Wenn wir vom Fahrwerk sprechen, dann ist das Rad ein Rad. Aber die einzelnen Bauteile unterscheiden sich letztendlich doch. Das Rad braucht mehr Halt, und so werden das Fahrwerk, das ESP und das Bremssystem darauf abgestimmt“, sagt Tonn und erläutert den Abstimmungsprozess. „Man baut in der Versuchsphase ein Basismodell und fährt das Fahrzeug auf einem Testgelände, hier in Europa ist das nahe des belgischen Orts Lommel. Die Fahrer stimmen die einzelnen Komponenten auf die europäischen Bedürfnisse ab, die die Fahrer verinnerlicht haben. Unser Team fährt die Autos dann auf öffentlichen Straßen und wir beurteilen, wann die Entwicklung abgeschlossen werden kann.“
Im Detail betrachtet sind es zwei Abstimmungen. „Es gibt die mechanischen Teile wie beispielsweise eine Feder, ein Dämpfer oder eine Silentbuchse. Sogenannte Tuning-Trucks liefern uns eine Auswahl ihrer Teile zum Testgelände, für die wir beispielsweise eine Belastung in Newtonmetern vorgegeben haben. Dann werden diese nacheinander in unser Basisfahrzeug eingebaut, gefahren und ausgebaut. Der Testfahrer fährt alle Komponenten an einem Tag durch und sagt, welche die beste war.“
Die Feinabstimmung erfolgt im Anschluss an die Wahl der mechanischen Komponenten. „Beim Mach-E GT haben wir beispielsweise das Fahrwerk von MagneRide, das ist eine Firma, die die Dämpfer magnetisch-mechanisch abstimmt. Das heißt, man kann den Dämpfer elektromagnetisch ansprechen“, erklärt Tonn, ganz in seinem Element. Der Ingenieur hatte verschiedene Funktionen in der Fertigung inne, bevor er 2003 als leitender Programmingenieur in das Produkt-Entwicklungsteam von Ford Europa wechselte, wo er an Baureihen wie dem Ka, dem Ford Fiesta ST, dem Ford Focus ST und dem Ford Focus RS 500 arbeitete. „Der Dämpfer wird im Öl hin- und her bewegt und das Öl enthält metallische Partikelfilter. Der Durchlass für das Öl ist eine Drossel, die man elektrisch steuern und zudem die Filter magnetisch ausrichten kann.“ So kann der Dämpfer entsprechend mehr oder weniger beweglich ausgerichtet werden. „Das ist ein Prozess, der in Millisekunden passiert. Danach kann der Wagen mit der Software abgestimmt werden.“ Dabei sitzen der Testfahrer und sein Beifahrer mit Laptop im Wagen, messen und stellen zwischen den Fahrten die Software ein.
Eine gute Kombination von mechanischen und computertechnischen Möglichkeiten führt also zu einem perfekten Ergebnis? „Der Gesamteffekt ist exakt so, wie man es möchte.“ Für den zukünftigen Kunden klingt das nach Fahrspaß pur, insbesondere sportliche Fahrer dürften auf ihre Kosten kommen. Im „Temperamentvoll Plus“-Modus wurde die Leistung des Antriebsstrangs auf der Rennstrecke ausbalanciert, um konstant schnelle Rundenzeiten zu erzielen. Gleichzeitig ist die Traktions- und Stabilitätskontrolle so angepasst, dass der Pilot auf abgesperrten Strecken ein betont sportliches Fahrerlebnis genießen kann. Dabei reduziert die Elektronik die Aktivierungsschwelle der Elektronischen Sicherheits- und Stabilitätskontrolle (ESP) sowie der Traktionsregelung, um dem Fahrer einen größeren Handlungsspielraum zu lassen.
Matthias Tonn ist selbst leidenschaftlicher Autofahrer, und zwar eher im europäischen Sinne. „Ich mag den klassischen Mustang V8, denn bei mir ist immer noch Benzin im Blut. Oder die Rennstreckenvariante des Mustang Mach 1, die im Sommer auf den Markt kam und die wir auch gut verkaufen.“ In den USA sei der klassische Mustang eher ein Fahrzeug zum Cruisen, zum entspannten Fahren, dort käme es den Kunden nicht so sehr auf den starken Motor an, erläutert Tonn. „Ungefähr drei Viertel unserer Produktion in Amerika, des größten Mustang-Markts der Welt, verkaufen wir mit stark nachgefragten, relativ kleinen 2,3 Liter Mustang EcoBoost-Turbo-Benzin-Motor. Das restliche Viertel ist der V8-Motor!“ betont er. „In Europa sind die Zahlen fast umgekehrt. In der Vergangenheit sind fast 90 Prozent der Mustangs mit einem V8-Motor bestellt worden und nur 10 Prozent sind die kleine, 320 PS starke – das ist immer noch recht viel – 2,3-Liter turbogetriebene Benzinvariante. Deshalb bieten wir den Mustang seit letztem Jahr nur noch mit dem V8 an.“
Die Sehnsucht nach einem großen Hubraum stillt der Mach-E GT sicher nicht, die nach Leistung mit 487 PS aber auf jeden Fall. Er beschleunigt in 3,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Die elektronisch begrenzte Höchstgeschwindigkeit erreicht er bei 200 km/h. Der Mustang Mach-E GT ist ab einem Preis von 72.900 Euro erhältlich. Zur Serienausstattung gehören Allradantrieb und die große, sogenannte Extended Range-Batterie mit einer Brutto-Kapazität von 98,7 kWh. Seine kombinierte WLTP-Reichweite beträgt 500 Kilometer, die sich bei sportlicher Fahrweise schnell verringert. Der gewohnte Sound eines kraftvollen Mustangs erzeugt auf Wunsch ein Generator.
Matthias Tonn fährt im Alltag gern elektrisch, liebt aber auch den Sound eines echten Verbrennungsmotors. Wenn er nicht gerade auf einer Renn- oder Teststrecke ist, nimmt sich Tonn seine Arbeit mit nachhause. „Wir verändern manchmal nachträglich und spielen gegebenenfalls eine neue Software auf. Oder ich fahre und teste von einem Tag auf den anderen ein neues Modell, das für Außenstehende natürlich nicht erkennbar ist.“ Seine Nachbarn fragen ihn schon gar nicht mehr, ob er ein neues Auto hat und was es für eins ist. „Ich halte es wie ein Bäcker, der hat auch jeden Morgen frische Brötchen“, lacht er. „Ich fahre immer die Autos, die wir neu bekommen oder wähle aus den aktuellen Modellen aus, und das macht Spaß. Im Moment ist das der Mustang GT.“ Man darf also gespannt sein, welcher Ford als nächstes vor Matthias Tonns Haustür steht. Die Nachbarn jedenfalls braucht man nicht zu fragen.
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