Was für ein Ritt! Nirgends kann der neue Ford Bronco seine Qualitäten besser beweisen, als auf einer Fahrt von Las Vegas nach Los Angeles – vor allem, wenn man den Highway dabei die meiste Zeit links liegen lässt.
Es ist Nacht in Las Vegas und die Stadt glüht in allen Farben. Zwar hat die Pandemie das Mekka der Glückspieler und Bachelor gehörig zurückgeworfen. Doch wenn die Sonne wie auf Knopfdruck hinter den Bergen verschwunden ist und der legendäre Strip zum Laufsteg der Nachtschwärmer wird, ist Corona mal für ein paar Stunden Geschichte. Die Passanten bummeln vor den Schaufenstern der Luxusboutiquen, die Spieler ringen mit Fortuna beim Roulette und die Petrolheads führen ihre Spielzeuge aus: Ferrari, Lamborghini, Corvette und McLaren röhren im tiefen Gang mit dafür umso höherer großer Drehzahl zwischen der Luxor-Pyramide und dem Stratosphere-Tower und befriedigen eilig ihrer Eitelkeit. Doch dann taucht der neue Bronco auf und stielt allen die Show. So, wie im Western die ganze Stadt verstummt, wenn zu High Noon der Held die Hauptstraße hereinreitet, interessiert sich plötzlich keiner mehr für die überzüchteten Flachmänner oder die überteuerten Designer-Klamotten, sondern schaut nur noch nach dem pflaumenblauen Ford, der auf seinen wuchtigen Offroad-Reifen herein rollt und sich auf jeder Betonfuge etwas mehr Präriestaub aus den Fugen schüttelt.
Das muss man verstehen, erst recht in den USA. Denn dort gilt der Bronco nicht nur als Legende, seit Ford das Segment der Hardcore-Geländewagen damit ab 1966 auf Freizeit getrimmt hat. Sondern vor allem haben die Amerikaner den Wildfang schmerzlich vermisst, nachdem die Ignoranten in Detroit die Produktion 30 Jahre später ohne Not wieder eingestellt und das Feld bereitwillig dem Jeep Wrangler sowie Importmodellen vom Schlage eines Toyota FJ Cruiser, eines Land Rover Defender und ja, in gewisser Weise auch der Mercedes G-Klasse überlassen haben. Doch seit einem knappen Jahr ist der Bronco zurück als handlicher Dreitürer für lächerliche Preise knapp unter 30 000 Dollar, als etwas geräumigerer Fünftürer und als weichgespülter Bronco Sport für die Vorstadt-Indianer und Möchtegern-Cowboys. Und tausende Vorbestellungen sowie monatelange Lieferfristen zeugen davon, wie groß die sentimentale Sehnsucht gewesen ist. Genau wie die vielen neugierigen Passanten, die bei jedem Zwischenstopp für ein Foto posieren, mal in den Innenraum schauen oder einfach ein bisschen fachsimpeln wollen. Nicht einmal im Lucid Air wird man so oft angesprochen. Dabei ist die elektrische Luxuslimousine gerade der heißeste Scheiß an der Westküste, weil es endlich mal einer wagt, am Tesla-Thron zu rütteln.
Aber der Bronco ein Lonesome Rider und nicht für die Zivilisation gemacht. So, wie jeder gute Cowboy mit der Stadt fremdelt und die Zähne ohnehin nicht auseinanderbekommt, so zieht es auch den Ford deshalb am nächsten Morgen schnell wieder raus in die Wildnis. Und kaum sind die Hotelhochhäuser aus dem Rückspiegel verschwunden, ist er auch schon runter vom Highway und rollt auf den Byways zum Härtetest ins Death Valley.
Treibende Kraft dabei ist wahlweise der 2,3-Liter-Ecoboost-Vierzylinder, den wir aus dem Mustang kennen, oder ein V6 mit 2,7 Litern, dem ebenfalls ein Turbo Druck macht. Aber egal ob 270 oder 310 PS, ist der Bronco kein Rennwagen. Sondern sogar der V6 bevorzugt im Zusammenspiel mit der 10-Gang-Automatik den gemütlichen Trab und lässt sich auf Asphalt nur mühsam über 160 Sachen treiben. Dabei ist es im Tal des Todes in diesen Tagen so leer wie sonst nie, die Cops sind im Winterschlaf und man könnte wohl sogar einen Ferrari mal gefahrlos ausfahren.
Wie gut, dass die Straßen hier nicht nur einsam sind, sondern auch endlich. Denn mehr als zwei Drittel aller Pisten im Tal des Todes sind nur geschottert und der Bronco ist wieder in seinem Element. Schade ist allenfalls, dass der Kofferraum so klein und mit zwei Reisetaschen bereits gut gefüllt ist. Denn sonst wäre jetzt genau der richtige Moment, ein weitere Einzigartigkeit des Fords zu testen. Wie beim Wrangler aber sonst bei keinem anderen Geländewagen lässt sich der Bronco mit wenigen Handgriffen umbauen und in Sommerlaune bringen: Erst fliegen die Dachhälften raus wie bei einem Targa, dann verschwinden die Seitenwände, und wem es immer noch nicht luftig genug ist, der kann sogar die Türen aushängen. Selbst wenn er dann, so lässt es ihn – wir sind schließlich in Amerika – der Warnaufkleber wissen – auf die Segnungen etwa der Seitenairbags verzichten muss.
Aber vielleicht ist es auch ganz gut, dass die Bastelstunde heute wegen des Mangels an Stauraum ausfällt. Denn die Sonne sinkt schneller als erwartet – und mit ihr das Thermometer. Außerdem gibt’s im Death Valley nirgends einen Kärcher, mit dem man den Staub aus dem Bronco spritzen könnte. Dabei haben sie in Detroit dich extra alle Schalter wasserdicht verpackt und sogar einen Ablauf wie bei der Badewanne in den Fußraum geschnitten.
Dass der Tag schneller zu Ende geht, als die Strecke, stört den routinierten Reiter nicht. Erst recht nicht im neuen Bronco. Wofür lässt sich auf dem Touchscreen in der Mittelkonsole schließlich das „Zone Lighting“ aktivieren. Dann strahlen nicht nur die LED-Scheinwerfer im Bug, sondern auch aus den Seitenspiegeln flutet plötzlich Licht und der Rückscheinwerfer leuchtet taghell nach hinten – so findet man selbst in pechschwarzer Nacht aus dem Death Valley heraus.
Nur um gleich im nächsten Extrem zu landen – denn wer nicht ganz auf der direkten Route zurück an die Küste fährt, der durchquert mit der Sierra Nevada auch gleich ein paar ziemlich extreme Klimazonen – nur einen halben Tagesritt nach dem Death Valley steht der Bronco deshalb plötzlich zwischen Meterhohen Schneewänden am Fuß der Mammouth Mountains und, die groben Stollen der Offroad-Reifen krallen sich ins brüchige Eis und der die Hütte in Quentin Tarantinos „Hatefull Eight“ kommt einem in den Sinn, wenn sich der Ford auf der letzten Meile zur Lodge durch den Schnee wühlt. Wie gut, dass es nicht nur ein halbes Dutzend Offroad-Fahrprogramme für jedes Terrain gibt, sondern zur zehnstufigen Automatik und dem zuschaltbaren Allradantrieb auch noch eine Geländeuntersetzung und obendrein drei Sperren. Damit kennt das Wildpferd tatsächlich kein Halten mehr. Winterreifen? Schneeketten? „Nicht nötig“, haben sie bei der Testwagenausgabe gesagt. Ihr müsst schon ein paar ganz dumme Entscheidungen treffen, wenn ihr euch mit einem Bronco festfahren wollt. Noch vor zwei Tagen wollte ich das nicht glauben, doch nach diesen 48 Stunden sind die Zweifel wie weggeblasen.
Deshalb stürzen wir uns auch gleich am nächsten Tag ins nächste Abenteuer. Oder eigentlich noch mitten in der Nacht. Denn lange, bevor die Sonne aufgeht, läuft sich vor dem Motel schon der Sechszylinder warm und taut die Kabine auf. Schließlich hat es –20 Grad, als die LED-Scheinwerfer durch die Nacht schneiden und den Weg ans Ufer des Mono Lake weisen. Dort, wo sich im Sommer die Touristen stauen, trabt der Bronco jetzt pünktlich zum Sonnenaufgang mutterserllen allein durch die Pampa. Während mit lautem Krachen das Eis auf den großen Pfützen unter den Rädern bricht und die Coyoten verschreckt in die Büsche fliegen, bahnt er sich seinen Weg zu den faszinierenden Tuff-Säulen, die ein paar Urzeitriesen hier beim Strandurlaub geformt haben, und trotzt dabei auch den tiefsten Temperaturen. Fehlt eigentlich nur noch das Lagerfeuer auf dem Touchscreen in der Mittelkonsole und die Blechkanne mit Kaffee zwischen den Sitzen, dann könnte der Tag mit einem romantischen Frühstück beginnen.
Sommerhitze mitten im Winter im Death Valley, Schneetreiben in Mammouth und arktische Kälte am Mono Lake – als hätten sie ihm drei-Wetter-Taft in den Tank gekippt, lässt sich der Bronco von der Witterung nichts anhaben. Was ihn mehr stört als die Klima-Kapriolen entlang der Route, das sind die Kurven auf der Fahrt Richtung Los Angeles. Denn wer glaubt, in Amerika seien alle Straßen wie mit dem Lineal gezogen, der muss mal auf dem Highway 178 durch den Kern River Canyon nach Bakersfield fahren. Und wenn er das mit einem Brocno tut, kann er sich danach die Freihanteln im Gym für ein paar Wochen sparen. Denn als wäre der hohe Schwerpunkt und mit ihm der Seegang in engen Kurven nicht schon anstrengend genug, verlangt der wilde Gaul in der Zivilisation nach kurzen Zügeln und einer strammen Hand, so dass Lenken zum Kraftakt wird. Wer dann nicht schnell den Allrad raus nimmt und auch noch gegen die Verschränkungen des Verteilergetriebes zu kämpfen hat, der bekommt auf dieser Tour Oberarme wie ein Preisboxer. Aber wer durch solche Schluchten schießen oder über die Passe fliegen will, der soll gefälligst das zweite Wildpferd im Ford-Stall nehmen. Wofür haben der liebe Gott oder besser die Nachfahren von Henry Ford schließlich den Mustang gemacht?
Außerdem ist der Ritt durch den Canyon aller Mühen wert. Denn er endet in Bakersfield und von da sind es nur noch ein paar Meilen rein nach Los Angeles und spätestens in Beverly Hills wiederholt sich das Spiel von Las Vegas. Selbst vor dem legendären Peninsula Hotel, wo sich nach einem Rolls-Royce oder Bentley schon lange keiner mehr umdreht, rangeln die Jungs vom Valet-Service darum, wer den Bronco in den Stall führen darf. Fehlt nur noch, dass sie in Striegeln und streicheln oder zumindest füttern wollen wie früher bei den echten Gäulen.
Ein paar Streicheleinheiten könnten jetzt aber auch die Insassen gebrauchen. Denn nach den 2 000 Kilometern über Stock und Stein, über Eis und Schnee, Schotter und Asphalt sind die ebenfalls ein bisschen k. O. und sehnen sich ganz kurz nach einem etwas gemütlicheren Geländewagen wie dem Ford Explorer oder wenigstens dem Escape wie sie unseren Kuga hier drüben nennen.
Aber nicht, dass wir uns falsch verstehen, dass ist keine Beschwerde. Denn spätestens seit John Wayne wissen wir doch alle, dass Wellness im Wilden Westen eher klein geschrieben wird. Und da macht es keinen Unterschied, ob der Gaul vier Hufe oder vier Reifen hat. Außerdem haben sie hier im Hotel ja eine schmucke Spa – da bekommen sie den wunden Rücken schon wieder gerade und auch die Kehrseite kuriert. Und zwar ein bisschen plötzlich bitte. Schließlich steht der Bronco voll im Futter und soll bald auch nach Europa kommen. Falls dieses Exemplar mit aufs Schiff muss – ich würde ihn glatt an die Ostküste in den Hafen fahren.
Thomas Geiger
Super Artikel