Fotos: Oliver Luxenburger 

Er sieht aus wie ein verwegener, adeliger Gentleman – traditionsverbunden und doch mit dem Hauch des Revoluzzerhaften. Bloß nicht mit der Masse schwimmen. Ich spreche von meinem Kumpel Robertino – und vom Bentley GTC. Da die Beschreibung gleichermaßen auf beide zutrifft, beschließe ich, mit ihm einen Frühlingstrip nach Tschechien zu machen. Für die Fotosession Friedrich Lichtenstein als Model zu rekrutieren, war uns zu teuer und gar nicht nötig, denn Robertino ist mit seinem weißen Hipster-Bart ein mindestens so markanter Typ. Weder beherrscht er den sonoren Sprechgesang des schrägen Berliner Schauspielers, noch wurde er je von EDEKA gefragt, ob er im Werberspot einen „sehr, sehr geilen Dorsch“ lobpreisen möchte. Trotzdem passt IT-Manager Robertino Matausch finde ich perfekt zu diesem Bentley. Aus München starten wir vergnügt in Richtung Brno, das früher mal Brünn hieß. Die Hauptstadt des Bezirks Jihomoravský kraj ist mit rund 380.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Tschechiens und bekannt für modernistische Gebäude wie die fabelhafte Villa Tugendhat. Sie wurde vom weltberühmten Bauhaus-Architekten Mies van der Rohe entworfen und 1930 fertiggestellt. Einzigartig ist die technische Ausstattung des Hauses: es gab eine Warmluftheizung und elektrische Fensterheber für die riesige Glasfront, die mittels Hydraulik im Boden verschwand und ein Freiluft-Wohnzimmer entstehen ließ.  

Motorboot im Ozean 

Als Freiluft-Wohnzimmer, wenn auch als rasendes, könnte man auch das wunderschöne Bentley Cabrio bezeichnen. Feinstes Soft-Touch-Leder ziert hier praktisch jede Innenfläche, die nicht aus Metall oder Holz besteht. Die Lederhäute stammen von Rindern aus Nordeuropa, wo kühleres Wetter weniger Insekten und damit weniger Stiche, sprich Schönheitsfehler, bedeutet. Im Inneren der Villa Tugendhat finden sich illustre Materialien wie Onyx aus Nordmarokko, italienischer Travertin oder Holzfurniere aus Südostasien. Palisander, Zebrano und Makassar-Ebenholz. Im Bentley begegnet uns offenporiges Crown Cut Walnut vom amerikanischen Schwarzwalnussbaum, lateinisch „Juglans nigra“, der im Osten Nordamerikas vorkommt. Durch flaches Schneiden des Stammes kommt die besondere Kronenform in der Holzmaserung zur Geltung, von Kennern genannt „Kathedrale“. Zusammen mit Bicolor Sitzen und dem tiefen Marlin-Blau der Außenfarbe entsteht eine Anlehnung an ein edles Motorboot, kreuzend in exotischen Ozeanen. Im Sonnenlicht glänzt der Lack mit petroleumartigem Schimmer, die feudalen Hölzer und das Leder verströmen den Duft von „Du hast es geschafft!“. Das Auto bietet Unmengen elektronischer Finessen. Du musst die Liste der Extras und Sicherheitssysteme aber gar nicht kennen. Es genügt, zu wissen: Alles ist da, was einen Luxussportwagen gut und sicher macht – und auch teuer. Unser Testwagen mit ein paar netten Gimmicks von der Extra-Liste kostet schlanke 267.367 Euro.  

Auch im Bentley wird geweint 

Als wir im Sonnenuntergang durch den Böhmerwald cruisen, freuen wir uns über die in die Kopfstützen integrierten Nackenföne, die angenehm warme Luft an die Hälse pusten. Die Sitzheizung wärmt die Diamantmusterung des Nappaleders, in Handarbeit werden 712 Stiche pro Raute und fas drei Kilometer Garn verwendet. Zwei Männer im Nobelcabrio fahren in die Abenddämmerung. Das Kennzeichen ist britisch, die Gedanken sind kritisch. Uns befällt die traurige Gewissheit, dass nachfolgende Generationen nicht mehr den sanft brabbelnden Klang eines V8 Motors werden genießen können, den wir gerade hören. Egal, wie der Streit in Brüssel um die Verbrennermotoren ausgeht, sie werden verschwinden. Die Götterdämmerung ist eingeleitet, wir sitzen in der Last Generation. 2025 kommt der erste Elektro-Bentley, schon in acht Jahren will die Marke ausschließlich Elektroautos bauen. Oder vielleicht doch nicht? Immerhin haben Ferrari und Aston Martin gerade neue Zwölfzylinder vorgestellt – wie geil ist das denn bitte? Wir können uns jedenfalls schwer ausmalen, wie jemals ein surrender E-Motor die Gelassenheit von sich hebenden und senkenden Kolben ersetzen sollen. Ähnlich schwermütig klangen wohl vor hundert Jahren die Verfechter von Pferdefuhrwerken, als sie durchs aufkommende Automobil das Ende der Kutschen herannahen sahen. „Auch im Bentley wird geweint“ – der neue Titel der Band „Deichkind“ beflügelt unsere Melancholie.  

Der Herrensalon fährt über 300   

Weg mit dem Trübsal, wir wechseln die Musik. Zum fröhlichen „Walk Between Raindrops“ von Donald Fagen beschleunigt Robertino den starken Briten mit 550 PS V8-Turbo, Achtgang-Doppelkupplung und Allradantrieb aus den Kurven heraus. Ich strecke die Hände in die Luft und schreie „Juhuuuuuuh!“, das ist Lebensfreude! Schon bei etwas über 2000 Touren wuchtet der Bentley sein maximales Drehmoment von 770 Nm auf die Kurbelwelle. Aus dem Stand schafft es der mit über 2,3 Tonnen nicht unbedingt fliegengewichtige Herrensalon trotzdem in 4,1 Sekunden auf Tempo 100, Schluß ist angeblich erst bei 318 km/h. Diese V-Max sollte man in Tschechien lieber nicht austesten, hinter Büschen und Milchkannen lauert böses Radar. Man will mit diesem Auto aber gar nicht rasen, allein das Wissen, dass man es könnte, macht glücklich. In den Fahrmodi „Sport“ und „Bentley“ lässt es sich komfortabel und dennoch sportlich reisen. Wen die Luftfederung stört, der soll sich halt bitte was Härteres kaufen. Wir lieben den Bentley für sein Fahrwerk, unsere Wirbelsäulen auch.  

Schlanke Linie, feiner Geist  

Als die urbritische Marke Bentley 1998 Teil des Volkswagen-Konzerns wurde, ging ein Raunen durch die Fangemeinde. Wird nun der Spirit verlorengehen? Wird man den VW durchblitzen sehen? Zugegeben, bei den ersten Modellen, wie dem Sportcoupé Continental GT entdeckte man sie noch, die offensichtlichen Gemeinsamkeiten aus dem Konzern-Baukasten. Ich erinnere mich an die Kunststoff-Schaltwippen aus dem Phaeton, die hinter dem holzbesetzten Nobellenkrad so gar nicht englische Noblesse ausstrahlen wollten. Kenner der Materie wissen, dass das Auto de facto auf dem Phaeton-Fahrgestell stand (D-Plattform zusammen Audi A8), somit war manch genetische Ähnlichkeit alles andere als zufällig. Auch ein Aston Martin DB 9 hatte nach der Übernahme durch Ford mal den Außenspiegel vom Mondeo abbekommen. Ausrutscher, die man gerne vergessen möchte. Der neue Bentley GT steht mittlerweile auf der Bodengruppe seines Baukastenbruders Porsche Panamera, was ihm sehr gut bekommt. Kamen die Vorgänger GTs noch pausbäckig mit reichlich Babyspeck daher, steht der Aktuelle im Vergleich wie ein griechischer Jüngling da. Geschmeidig, gestreckt, geduckt. Die erste Generation hatte zwar elegante Linien, aber bisweilen eben auch etwas klobige Tendenzen. Gut zu sehen ist der Unterschied an der Heckpartie. Dort befinden sich jetzt zwei breite und doch dünne Rückstrahler, die exakt die Form der Auspuff Endrohre aufnehmen. Filigraner ist auch die Seitenlinie des Autos, die nun sogar ein bisschen an den Ur-Bond-Dienstwagen Aston Martin DB5 erinnert. Auch die Front wurde kompakter, weniger russische Diesellok, mehr Sportwagen. In den warmen Monaten ist Brünn so open Air wie der offene Bentley. Das Leben der Studentenstadt spielt sich auf den sauberen Straßen ab, in unzähligen Cafés, Bars, Restaurants. Wer noch nicht dort war, es ist wunderschön und eine Reise wert. Auch mit dem Zug ist Brno zu erreichen. Robertino und ich würden aber den Bentley empfehlen.  

Datencheck 
Bentley Continental GTC Cabriolet V8 

Motor: 8 Zylinder Turbo
Hubraum: 3996 ccm 
Leistung: 550 PS 
Max. Drehmoment: 770 Nm 
Höchstgeschwindigkeit: 318 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 4,1 Sek.
Preis: ab 212.000 Euro